Die siegreiche „Fußballgeschichte“:


Die siegreiche „Fußballgeschichte“:

Es war einmal…

Übermütiges Kindergeschrei weckt mich aus meinem Mittagsschlaf.
Müde reibe ich mir die verschlafenen Augen. Meine rechte Hand greift nach dem hölzernen Gehstock, den ich zuvor an den Kamin gelehnt habe und ich stemme mich mühsam aus dem knarrenden Schaukelstuhl. Auf den Stock gestützt trete ich durch die offene Haustüre. Das helle Sonnenlicht blendet meine Augen. Mein Blick streift die Topfblumen neben der Tür, die dieses Jahr besonders schön blühen. Da es jedoch seit Tagen nicht mehr geregnet hat, sehen sie etwas verdurstet aus und ich beschließe, später die Gießkanne zu holen und sie zu gießen.
Als ich mich auf die alte Holzbank neben der Tür setze, sehe ich die Kinder auf der Nachbarswiese Fußball spielen.
Ehrgeizig jagt ein blonder Junge dem Ball nach. Kurz vor dem Tor stellt ihm jedoch eine seiner Gegnerinnen ein Bein. Er stolpert und fällt kopfüber ins weiche Gras. Wütend gehen seine Mannschaftskollegen auf das Mädchen los. Nach einer kurzen und äußerst heftigen Auseinandersetzung verlässt das Mädchen mit trotzigem Blick das Spielfeld. Als sie sich neben mich auf die Bank setzt, umspielt ein Lächeln meine Lippen und ich muss an früher denken.
„Omi, hast du das gesehen? Wegen so etwas schließen die mich gleich vom Spiel aus. Das finde ich unfair!“
„Das hat mich jetzt an unsere Hedwig erinnert“, lache ich, „ damals, als wir noch unseren Flicknball hatten.“
„Du meinst Fußball, oder?“, meint Lisa verwundert.
„Nein Flicknball, aber ich kann mich noch genau erinnern, wie der Fußball in unser Tal gekommen ist. Ich war dabei. Es ist eine sehr lustige und spannende Geschichte.“
„Oh bitte erzähle sie mir, Omi!“, fleht Lisa und rückt näher an mich heran.
Gerade als ich anfangen will, kommt der blonde Junge mit den anderen Spielern im Schlepptau durch meinen Garten auf uns zu.
„Hey, Lisa es tut uns Leid, dass wir dich ausgeschlossen haben, aber dass du mir das Bein gestellt hast war einfach nicht fair von dir.
Egal, wir wollten dich fragen, ob du nicht vielleicht doch wieder mit uns rüber kommen willst?“, fragt der blonde Junge versöhnlich.
„Würde ich gerne, aber meine Omi erzählt mir jetzt die spannende Geschichte, wie der Fußball in unser Tal gekommen ist. Sie war nämlich selbst dabei“, erzählt ihm Lisa stolz.
„Nicht nur ich, Lisa. Eure Omas waren auch alle dabei.“, füge ich augenzwinkernd hinzu.
„Ich möchte auch wissen was meine Oma mit unserem Fußballspielen zu tun hat.“, fragt mich ein braunhaariger Junge interessiert, „Darf ich auch zuhören?“ Ich winke ihn zu mir auf die Bank und auch die anderen sind jetzt neugierig geworden. Schnell machen es sich die Kinder auf der Bank und im Gras rund um mich gemütlich. Gespannt und mit großen Augen lauschen sie mir als ich zu erzählen beginne.

„Es war einmal ein kleines Tal. Es lag unberührt zwischen den schneebedeckten Gipfeln der Alpen und war von vielen bunten Blumenwiesen umgeben. Auch ein kleiner Bach floss durch dieses hübsche kleine Tal, die Plunz. Entlang dieses Baches, standen elf wunderschöne Bauernhäuser. Darin wohnten wir.
Auf den saftigen Wiesen rundherum weidete unser Vieh. Wir hatten gefleckte Kühe, meckernde Ziegen und blökende Schafe und inmitten dieser vielen Tiere weideten auch unsere kräftigen Arbeitspferde.
Hektik kannten wir nicht. In diesem kleinen Tal war noch alles in Ordnung, wie man heute sagen würde.
Da wir auch keinen Strom und keine Technik hatten, nützten wir das Tageslicht. So arbeiteten wir den Großteil des Tages. Jeder von uns hatte seine Aufgabe und alle waren zufrieden.
Eine Ausnahme zu dem geordneten Tagesablauf gab es jedoch.
Das waren wir, die zehn Frauen. Auch wenn wir mit unserem Leben zufrieden waren fehlte uns doch etwas: Ein Ausgleich zur harten Arbeit.
Bevor ich hier weiter erzähle, möchte ich euch kurz die zehn Frauen, um die es in meiner Geschichte geht, vorstellen. Hört gut zu.
Vielleicht erkennt irgendwer von euch seine junge Oma.

Die Dorfälteste und gleichzeitig auch unsere sogenannte „Oberbäuerin“, war Berta. Wenn wir mit irgendetwas unzufrieden waren, gingen wir zu ihr. So groß konnte das Problem gar nicht sein, dass Berta keine Lösung dafür fand. Schneeweißes Haar umspielte lieblich ihre stämmige Figur.
Da ihr das Haar bis zur Hüfte reichte flechtete sie es immer zu einem langen Zopf.
Ihre Schwester Walpurga, wir nannten sie „Burga“, war zwar ungefähr gleich alt. Sie war jedoch das genaue Gegenteil ihrer Schwester. Ihr Körper wirkte sehr zerbrechlich und sie trug ihr Haar kurz.
In etwa so wie du, Anne.“ Ich wies auf ein blondes Mädchen, das vor mir ihm Gras lag. Sie trug einen Pagenschnitt.
„Burga kannte sich ungemein gut mit Kräutern aus. Sie kannte die Wirkungen von allen Pflanzen im Tal und mischte immer neue Salben und Tees.
Dann gab es da noch Ida. Sie war die größte von uns und ihre Leidenschaft waren die Pferde. Alle unsere Arbeitspferde kamen von ihrem Hof. Ihre beste Freundin war die junge Bäuerin Martha. Martha war ebenfalls eine Pferdenärrin. Gerne half sie Ida im Stall, besonders wenn im Mai die Fohlen zur Welt kamen. Nebenbei unterrichtete sie mit viel Liebe unsere Kinder.
Die fröhlichste von uns war sicher Rosa. Sie war selten schlecht drauf. Ihre Leidenschaft galt den Blumen und, wie ihr sicher noch wisst, der Käseherstellung. Ihre Spezialität war der Heidelbeer-Haselnussblätter Käse. Zu diesem ausgezeichneten Käse aß man am besten Marias gutes Sonnenblumenbrot. Je älter es war, desto saftiger schmeckte es und die vielen Sonnenblumensamen gaben ihm einen nussigen Geschmack. Erna, unsere Schneiderin, aß nur dieses Brot.
Auch Hilde, die am liebsten Pfefferkäse mit Schnittlauchbrot aß, war mit ihrem ausgezeichneten Ziegenjoghurt unersetzlich für unser Tal.
Natürlich aßen wir auch Fleisch, Vieh hatten wir ja genug. Dafür sorgte mit gutem Gewissen die Metzgersfrau Hedwig. Sie war eine mürrische alte Dame, vor der viele Kinder das Weite suchten, auch wenn sie selbstverständlich harmlos war. Ich hatte immer Verständnis für die Angst der Kinder, denn Hedwig, müsst ihr euch vorstellen wie die Hexe aus Hänsel und Gretel. Genau so sah sie aus. Voller Falten, immer auf einen knorrigen alten Gehstock gestützt,….
Zu guter Letzt noch die Jüngste und das war ich. Aber mich kennt ihr ohnehin.
Doch jetzt zurück zur meiner Geschichte.
Der sogenannte „Ausgleich“ kam schließlich eines Abends von Martha. Sie erfand den Vorgänger des Fußballspiels, das „Flicknball schupfn“.
Ich sage euch, dass war eine Gaudi. Von diesem Tag an trafen wir uns jeden Abend auf der Wiese hinterm Gemeindehaus und spielten „Flicknball schupfn“. Verständlicherweise hatten wir noch keinen Lederfußball, so wie ihr, sondern einen eigens von Erna erfunden „Flicknball“. Dabei filzte sie zuerst aus Schafswolle eine große Kugel und übernähte diese anschließend mit Lederflicken. Wir waren wunschlos glücklich.
Doch dann kam die Sache mit Hedwig und ab diesem Zeitpunkt änderte sich unser Leben gewaltig.

Wieder einmal hatten wir uns auf der großen Wiese hinterm Gemeindehaus getroffen um „Flicknball schupfn“ zu spielen.
Das Spiel war bereits in vollem Gange als ich plötzlich stolperte und im feuchten Gras landete.
Hedwig hatte mir das Bein gestellt, genau wie du dem Gustl, liebe Lisa.
Das Kuhhorn, unsere damalige Pfeife, ertönte und Hilde,
sie machte immer unsere Schiedsrichterin, kam mit empörter Miene auf uns zugelaufen. Ich weiß noch ganz genau wie das war.“
Mit schriller Stimme versuche ich Hildes Stimme nachzuahmen.
„Hedwig! Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass man anderen Spielerinnen kein Bein stellen darf? Das kann doch nicht sein, dass ich dich jedes Mal aufs Neue darauf hinweisen muss, oder?
Merk dir das endlich!
Da kann ich leider nichts dafür, liebe Hilde, hat Hedwig daraufhin geantwortet, das ist mein Unterbewusstsein. Wenn es den Ball will,
dann holt es ihn sich auch. Da habe ich verdammt wenig Mitbestimmungsrecht.“

Lisa und die anderen Kinder mussten über meine nun krächzende Stimme lachen. Ich räusperte mich kurz und fuhr, wieder mit meiner eigenen Stimme, fort.
„Für Hilde war das jedoch keine Entschuldigung. Sie sagte, dass ihr völlig egal sei, was das Unterbewusstsein mit ihr anstelle. Das habe auf jeden Fall Konsequenzen.
Sie schloss Hedwig daraufhin vom Spiel aus.
Bevor Hedwig jedoch beleidigt das Feld verließ meinte sie noch gleichgültig, dass es ihr nur recht sei, es würde ihr sowieso langsam zu langweilig. Immer dieselben langweiligen Spielregeln und Spielerinnen.
Sie suche sich in Zukunft eine sinnvollere Abendgestaltung.
Dann war sie weg und es war still. Alle schauten wir betreten zu Boden. Irgendwann ergriff dann Berta, in die Stille hinein, das Wort. Sie sprach das aus, was wir alle schon längst wussten.
Hedwig hatte Recht. Es war todlangweilig.
Es wollte nur keiner von uns wahrhaben, denn, was hätten wir denn machen sollen?
Die Erste die sich dazu äußerte, war Burga.
Sie meinte, wir könnten ja wirklich einmal versuchen, irgendwo neue Spielerinnen anzuheuern, worauf jedoch nur ratlose Blicke folgten.
Der entscheidende Vorschlag kam wieder einmal von Martha. Sie war die Einzige von uns, die ab und zu das Plunzntal verließ, um im nahen Dorf Bücher für die Kinder zu besorgen.
Sie erzählte uns von einem ähnlichen Spiel, dass die Menschen dort spielten, nur mit etwas anderen Regeln. Außerdem habe sie bei ihrem letzten Besuch im Dorf von einer großen Versammlung gehört, die demnächst hier in der Nähe stattfinden würde. Bei der würden sich Mannschaften aus verschiedenen Ländern treffen um gegeneinander anzutreten.
Unsere Neugier war natürlich sofort geweckt und wir witterten unsere große Chance. Wild redeten wir durcheinander, bis Berta uns schließlich unterbrach. Sie versuchte uns zu beruhigen, war jedoch nicht weniger aufgeregt als wir. Natürlich unterstützte sie unsere Idee, bat uns jedoch, ihr noch etwas Zeit zum Überlegen zu geben.
Sie wünschte uns eine gute Nacht.
Bereits vor dem Krähen des Hahnes hatten wir uns erwartungsvoll vor dem Gemeindehaus versammelt.
Nachdem Berta jedem von uns eine Aufgabe gegeben hatte, fingen auch schon die Vorbereitungen für unsere nahende Reise an. Wir packten Käse, Brot und Hartwurst zusammen und Burga füllte sogar einen kleinen Korb mit Salben und Kräutertees.
Auch Ida ließ es sich nicht nehmen ihre schönste Kutsche und ihre zwei besten Pferde für die Reise herauszuputzen.
Unser größtes Problem waren jedoch unsere Männer und Kinder.
Wie sollten sie sich versorgen, wenn wir weg waren? Die Männer hatten keine Ahnung vom Kochen und die Kinder konnten wenn überhaupt nur Butterbrote schmieren und Schnittlauch darüber streuen.
Dieses Problem zu lösen war unter anderem auch meine Aufgabe. Berta, Hilde und ich veranstalteten einen eintägigen „Intensivkochkurs“. Das war jedoch schwerer als wir vorerst gedacht hatten, denn wir hätten nie geglaubt, dass unsere Männer sich so ungeschickt anstellen könnten. Mit der Zeit ging es jedoch immer besser und es fing an, ihnen sogar Spaß zu machen.
Am späten Abend fielen wir dann alle erschöpft in unsere aufgeschüttelten Federbetten. Ich weiß nicht genau, wie es den anderen so gegangen ist, aber ich konnte an diesem Abend lange nicht einschlafen. Mit offenen Augen träumte ich bereits von unserer Reise in eine andere Welt.

Am nächsten Tag versammelten wir uns alle auf dem sonnenüberfluteten Hauptplatz vor dem Gemeindehaus. Auch das Wetter war perfekt.
Es war ein Tag, wie er nicht schöner hätte sein können.
Ich betrat mit meinem Mann und meiner Tochter den Platz und mir fiel sofort die schöne Kutsche mit den stattlichen Braunen davor auf.
Zuerst begrüßte ich meine Freundinnen und dann kam schon der große Abschied. Keiner wusste genau, wie lange wir weg sein würden und so wurden auch Tränen vergossen. Besonders die kleinen Kinder wollten sich nicht von ihren Müttern trennen und uns viel der Abschied natürlich auch nicht leicht. Die älteren Mädchen kümmerten sich an diesem Tag wirklich rührend um die Kleinen. Deine Mutter war damals auch noch sehr klein, Lisa. Mit aller Kraft klammerte sie sich an meinem Rock fest.
Im Nachhinein denke ich mir, dass es eigentlich sehr brutal von uns war, unsere Kinder, nur wegen eines Hobbys, alleine zurückzulassen. Doch auch das ging vorbei.
Nach diesem tränenreichen Abschied ging es dann endlich los. Alle waren gut drauf, sogar Hedwig, die summte zufrieden vor sich hin.
Während wir heiter dahinschwatzten und die warmen Sonnenstrahlen genossen, lenkte Ida, mit Martha an ihrer Seite, das Gespann sicher über die vielen Wege in Richtung des nächsten Dorfes.
Da wir an diesem Tag noch kein Frühstück gegessen hatten, holte Rosa schon bald den Korb hervor und wir aßen hungrig Käse, Hartwurst und Sonnenblumenbrot.
Langsam näherten wir uns dem Dorf. Immer mehr Leute kamen uns entgegen. Die meisten grüßten uns freundlich und blickten uns neugierig nach, besonders die Kinder, die auf der Straße spielten. Ruckelnd fuhr die Kutsche auf dem Pflasterweg Richtung Dorfplatz.
Ida hielt die Pferde an und wir stiegen aus.
Da wir keine Ahnung hatten, wo diese große Versammlung, von der uns Martha erzählt hatte, stattfinden sollte beschlossen wir, jemanden vom Dorf zu fragen. Vielleicht könnte uns da wer weiterhelfen.
Zuerst versuchten wir es bei einer kleinen Gruppe von Frauen, die vor der Bäckerei stand. Die konnten uns jedoch nicht weiterhelfen. Einige waren sich aber sicher, von etwas Ähnlichem gehört zu haben.
Eine der Frauen gab Berta schließlich den Tipp, es doch bei den Männern im Wirtshaus zu versuchen, da sei heute „Frühschoppen“. Dort bekämen wir sicher Antwort, denn die Männer dort würden sich in Sachen große Veranstaltungen besser auskennen. Wir bedankten uns und machten uns in die Richtung auf, in die die Frau uns geschickt hatte.
Schon von weitem hörten wir laute Musik und dumpfes Grölen.

Als wir die Gaststube betraten schlug uns eine Rauchwolke entgegen und wir vernahmen einen eigenartigen Geruch.
In der stickigen Stube saßen die Männer an langen Holztischen und tranken, wie man uns später informierte, Bier. Auch wenn wir uns sofort unwohl fühlten und uns von dem Gestank übel wurde, gingen wir tapfer auf einen der Tische zu.
Die rotnasigen Männer dort empfingen uns grinsend, doch wir dachten uns nicht viel dabei und fragten sie gleich nach diesem Treffen.
Leider sprachen sie sehr undeutlich und wir hatten das Gefühl sie unterhielten sich nicht wirklich mit uns sondern eher mit sich selbst.
Enttäuscht verließen wir das volle Lokal.

Wir waren schon wieder auf dem Weg Richtung Dorfplatz,
als ich hinter mir schwache Rufe hörte.
Ich drehte mich um und als ich sah, dass das Rufen eines alten Mannes uns galt, machte ich auch die anderen darauf aufmerksam.
Der Mann humpelte langsam, auf einen langen Stock gestützt, auf uns zu. Seine faltenumrahmten Augen blickten uns freundlich entgegen.
Zu unserem Erstaunen sagte er, dass er zufällig unser Anliegen gehört hätte und uns vielleicht weiterhelfen könne.
Zuversichtlich geleiteten Maria und ich den gebrechlichen Mann auf eine Bank, die unter einer alten Buche am Hauptplatz stand.
Er fragte uns noch einmal genauer über dieses Treffen aber viel mehr als im Wirtshaus konnten wir ihm auch nicht erzählen.
Das war jedoch nicht schlimm denn der alte Mann wusste auch so wohin wir wollten. Bereitwillig gab er uns Auskunft über diese ’’Versammlung“. Herzlich bedankten wir uns bei ihm.
Jetzt wussten wir endlich wo wir hinmussten.
Jetzt hatten wir ein Ziel.

Als die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, hatten wir bereits einen Großteil unseres Weges zurückgelegt. Als Nachtlager diente uns in dieser Nacht eine Scheune voll Heu. Ein freundliches Bauernehepaar stellte es uns für die Nacht zur Verfügung. Als Dank schenkte ihnen Rosa später einen ihrer Heidelbeer-Haselnussblätterkäse und Hedwig eine Stange Hartwurst. Um uns zu vergewissern, dass wir auch wirklich richtig waren, fragten wir den Bauern nach dem Weg. Der lachte überrascht und erzählte uns, dass er und seine Frau morgen auch dort hin wollten.
Wir machten ihm natürlich gleich das Angebot, ihn und seine Frau in unserer Kutsche mitzunehmen. Er willigte dankend ein.

Wunderbar ausgeschlafen fuhren wir am nächsten Tag zusammen mit dem Bauer und seiner netten Frau weiter. Es war eine sehr unterhaltsame Fahrt denn Peter und Johanna, so hießen die beiden, hatten uns sehr viel Interessantes über diese schöne Gegend zu erzählen.
Auf einem kleinen Schotterparkplatz hielt Ida an und Peter erklärte,
dass wir von hier aus noch ca. dreißig Minuten zu Fuß gehen müssten.
Da wir die Pferde und die Kutsche nicht alleine auf dem Parkplatz stehen lassen konnten stellten wir sie bei der Almhütte, zu der der Parkplatz gehörte, unter. Nun waren die Pferde untergebracht und wir machten uns auf den Weg.

Endlich waren wir am Ziel!
Über uns, an zwei Stangen befestigt, hing ein großes Plakat mit der Aufschrift:

Herzlich Willkommen
zur
1. Fußball-EM der Bergdörfer!

Erstaunt blickten wir uns um. Alles hier war neu für uns.
Es gab Lautsprecher, einen großen eingegrenzten Sandplatz, eine Tribüne und vieles mehr. Das alles beeindruckte uns sehr.
Lange standen wir einfach nur herum, bis ein kleiner Mann mit einem runden Bauch auf uns zukam. Er war sehr freundlich und zeigte uns, wo wir die beste Aussicht auf den Platz hätten. Als ihm Berta erklärte, dass wir aus dem Plunzntal hier in der Nähe kämen und gerne auch mitspielen würden, schüttelte er den Kopf. Entschuldigend meinte er, bei dieser besonderen Meisterschaft gäbe es nur acht Mannschaften und die wären schon ausgesucht. Da könne man nichts mehr ändern. Außerdem müsste man da auch in einer bestimmten Liga spielen. Diese Feststellung war jedoch völlig umsonst, da wir keine Ahnung hatten was er mit ’’Liga’’ meinte. Dann ging der Mann wieder.
Peter und Johanna versuchten uns etwas aufmuntern. Sie schlugen uns vor, doch gemeinsam mit ihnen von der Tribüne aus zuzusehen.

So leicht ließen wir uns jedoch nicht entmutigen.
Da kannte uns der Mann schlecht. Wir waren doch nicht den langen Weg hierher gefahren, um dann sinnlos auf der Tribüne umherzusitzen. Nein, sicher nicht, sagten wir uns und beschlossen die Sache selbst in die Hand zu nehmen.
Zuerst sahen wir uns das Gelände etwas an. Den „Fußballplatz“ und die Tribünen kannten wir ja schon. Die Landschaftliche Lage war jedoch nicht sehr aufregend.
Uns interessierten die anderen Spieler. Wir fanden sie in einem großen weißen Zelt, wo diese die Möglichkeit hatten, sich zwischen den einzelnen Spielen aufzuhalten. Aufgeregt betraten wir das volle Zelt.
Drinnen standen auch Tische und Bänke, die jedoch vorwiegend als Ablageplatz für leere Wasserflaschen und sonstigen Krempel dienten.
Die erste Mannschaft, die uns bemerkte, war die aus der Schweiz. Das waren auch sehr nette Leute nur leider alles Männer, keine einzige Frau. Komisch, dachten wir uns.
Auch die Mannschaften aus Schweden, den Niederlanden, Spanien und Italien spielten ohne Frauen.
Auch wenn wir ein großes Problem mit der Verständigung hatten, hinderte uns das nicht daran, uns ein wenig auszutauschen. Wir verständigten uns eben mit Händen und Füßen, was besser funktionierte als vorerst gedacht.
Mit den Deutschen ging es besser, auch wenn die einen anderen Dialekt hatten als wir.
Am besten verstanden wir uns jedoch mit der Mannschaft aus Österreich. Wir erzählten ihnen, dass wir aus dem „Plunzntal“ kamen und es dort sehr schön sei. Natürlich kannten sie es nicht und so luden wir sie ein, uns doch einmal zu besuchen. Dankend nahmen sie an und sprachen gleich eine Gegeneinladung aus.

Kurz vor dem ersten Spiel, Schweiz gegen die Gruppe aus Deutschland, fragten uns unsere Freunde aus Österreich, ob wir nicht zwischendurch ein Spiel gegeneinander spielen wollten.
So nahmen wir unsere erste Herausforderung an.

Der Endstand des ersten EM Spieles, Schweiz gegen Deutschland, lautete nach der zweiten Halbzeit 6:1.
Dann war der Fußballplatz für etwa eine halbe Stunde frei.
Sofort fingen wir an.
Noch heute muss ich sagen, die Männer haben echt gut gespielt, aber wir waren einfach besser. Schon nach zehn Minuten führten wir 5:0. Schiedsrichterin war Hilde zusammen mit Paul aus der anderen Mannschaft. Einige Regelungen waren neu für uns, doch auch die hatten wir schnell begriffen und so machte das Spiel uns allen Spaß.
Im Laufe der Zeit füllte sich die Tribüne und immer mehr Menschen strömten herbei, um uns zuzusehen.
Als der Veranstalter das nächste Spiel, nun Spanien gegen Italien, ansagen wollte hörte ihm keiner zu. Von allen Seiten wurden wir angefeuert.
Gebannt saß das Publikum auf der Tribüne und plötzlich wollten auch die anderen Mannschaften, als wir am Ende mit 12:3 siegten, gegen uns antreten.
So schrieb der Veranstalter kurzerhand das Programm um.
Eine Mannschaft nach der anderen besiegten wir nun, bis schließlich am nächsten Tag nur noch die Mannschaft aus Spanien übrig war.
Bis jetzt hatten wir alle Spiele ausnahmslos gewonnen, doch die Spanier würden schwer zu schlagen sein, sagte man uns.
Da in der anderen Mannschaft auch nur acht Spieler spielen würden, mussten wir uns ausmachen wer von uns zehn Frauen im Endspiel antreten würde. Eigentlich wollten wir Hedwig nicht in der Mannschaft haben, doch da sie eine der Besten war, entschieden wir uns schließlich doch für sie. Walpurga machte uns den Vorschlag, dass sie nicht mitspielen werde. Wir nahmen dieses Angebot dankend an, da sie schon sehr alt war und daher eher langsam. Hilde schloss sich ihr an und so stand unsere Endmannschaft fest.
Wir, Berta, Erna, Ida, Martha, Rosa, Maria und ich würden gegen Spanien antreten. Maria würde für uns im Tor stehen.
Das Spiel konnte beginnen.

Der Anpfiff erfolgte, wie bei den anderen Spielen auch,
mit unserem Kuhhorn.
Sofort holte Berta sich den Ball. Sie passte ihn mir zu und ich schoss ihn weiter zu Hedwig, die gleich neben dem Tor stand. Bevor die jedoch zum Schuss ansetzen konnte, war der Ball schon wieder weg.
Erna versuchte den Ball zurückzugewinnen doch sie scheiterte.
Mit einem Satz war Rosa an der Seite des Spaniers, der den Ball jedoch sofort einem Kollegen zupasste. Rosas Ergeiz war geweckt.
Schnell spurtete sie dem Ball nach und nahm ihn dem irritierten Spanier mit einem souveränen Kick wieder ab. Ohne sich umzuschauen legte sie den Weg zum gegnerischen Tor im Schnellspurt zurück – und traf!
Der Ball war im Tor. Unser erstes Tor war geschossen.“

Triumphierend stoße ich meine Faust in die Luft, fange mich jedoch gleich wieder als ich sehe, dass mich die Kinder mit offenen Mündern anstarren.

„Die Zuschauer jubelten und klatschten wie wild, doch das Spiel war noch lange nicht zu Ende. Ausgemacht waren zwei mal 30 Minuten mit einer zehnminütigen Pause nach der ersten Halbzeit.
Zweifellos war es das spannendste Spiel, das wir bisher bestritten hatten und so fieberten alle mit uns mit.
Ich kann euch leider nicht das ganze Spiel so genau schildern, da zu viel gleichzeitig passiert ist. Die erste Halbzeit verlief wieder einmal super für uns, ohne Zwischenfälle.
Kurz nach der Pause jedoch, am Anfang der zweiten Halbzeit strauchelte Rosa so unglücklich, dass sie nicht mehr auftreten konnte. Das Spiel wurde natürlich sofort unterbrochen. Auf zwei Sanitäter gestützt humpelte sie zur Ersatzbank.
Dort wurde sie bereits von Burga und einem Korb voller Salben empfangen. Die Sanitäter wollten Rosas Fuß natürlich sofort mit einer Schiene stabilisieren, doch Burga bestand darauf, ihn vorher noch mit einer ihrer Cremen einzuschmieren. Widerspenstig erlaubten die zwei es ihr. Trotzdem musste Rosa ihren verletzten Fuß hochlagern und fiel somit leider für das weitere Spiel aus.

Das hieß, uns fehlte eine Spielerin und da Burga sich um Rosa kümmern wollte sprang Hilde kurzerhand ein.
So nahm das Spiel seinen weiteren Lauf.

Kurz vor Spielende stand es auf einmal unentschieden, 3:3.
Nun galt es, das alles entscheidende Tor zu schießen und zwar mit allen Mitteln die zur Verfügung standen. Jede Mannschaft gab noch einmal alles, auf die Zeit schaute keiner mehr. Entscheidend war das nächste Tor.
Die Spanier legten noch einen Zahn zu und passten sich den Ball sehr geschickt zu. Fast gelang ihnen ein Treffer, doch Maria blockte den Ball rechtzeitig ab.
Plötzlich ging alles sehr schnell. Ida lenkte die spanischen Profis mit einem Täuschungsmanöver gezielt ab und war somit neue Besitzerin des Balls. Rosa und Burga feuerten sie derweil laut brüllend von der Ersatzbank an und auch die Menschen auf den Tribünen fieberten begeistert mit.
Wie der Blitz jagte Ida mit ihren langen Beinen in Richtung Tor.
Doch in dem Moment, gerade als Ida schießen wollte, flog ein Flugzeug laut dröhnend über den Platz hinweg. Erschrocken duckte sich Ida und starrte ängstlich zu dem silbernen Blechvogel hinauf.
Martha, die dicht an Idas Seite gelaufen war, reagierte blitzschnell.
Sie nütze die Verwirrung des Gegners und schoss das Siegestor.
Damit war das Spiel entschieden.
Wir hatten gewonnen!

Keiner saß nun mehr ruhig auf seinem Platz. Alle Zuschauer waren aufgestanden und jetzt wurde uns auch erst richtig bewusst, wie viele mit uns mitgefiebert hatten. Es mussten Tausende gewesen sein.
In den Jubel hinein umarmten wir uns alle und die Spanier gratulierten uns zu unserem verdienten Sieg. Doch mehr noch bedankten wir uns bei ihnen für diese einmalige Herausforderung.
Noch nie zuvor hatten wir so um unseren Sieg kämpfen müssen.
Von allen Seiten strömten die Menschen auf den Platz, um uns zu gratulieren. Sogar das Fernsehen war da und eine Reporterin bat uns um ein Interview. Da standen wir also, umringt von unseren neuen Fans und gaben unser erstes Interview. Ich sage euch, das war so komisch.
Wir hatten ja noch nie im Leben ein Interview gegeben und das mit dem Mikrofon war gar nicht so einfach für uns. Wir konnten doch nicht verstehen wie so etwas funktionierte. Martha brüllte so laut ins Mikro, dass die Reporterin erschrocken zurückwich.

Nachdem sich der Platz etwas geleert hatte, begann die Siegerehrung.
Ach, den Moment, als wir den goldenen Siegerpokal überreicht bekamen, werde ich niemals vergessen. Die Fotografen schossen eine Menge Fotos von uns, während der Pokal stolz durch unsere Hände wanderte.
Wir waren nun „Bergdorf-Europameisterinnen“.
An diesem Nachmittag hörten wir auch zum ersten Mal unsere Landeshymne.“

Als meine Stimme verstummt blicke ich in leuchtende Kindergesichter.
Lisa strahlt mich voller Bewunderung an:
„Das heißt, du bist eine echte Fußballmeisterin.“
Mit einem Augenzwinkern ziehe ich die Schultern hoch.
„Wow, das haut mich um. Ich hätte nie geglaubt, dass meine Omi mal so sportlich war.“, meint das blonde Mädchen mit dem Pagenschnitt verwundert. „Wer hat den Pokal eigentlich jetzt? Ich würde ihn so gerne sehen. Der ist sicher wunderschön.“, fragt mich der blonde Junge mit glänzenden Augen und auch die anderen nicken.
„Du möchtest ihn sehen? Dann habe ich eine kleine Überraschung für dich. Warte hier.“ Auf den Gehstock gestützt erhebe ich mich von der Bank und schlurfe zurück ins Haus. Mühsam erklimme ich die knarrende Holztreppe hinauf zu meinem Schlafzimmer. Mit einem leisen Quietschen öffnet sich der Schrank. Ich strecke mich und greife nach dem Pokal. Unter der dicken Staubschicht kann man die Goldene Farbe nur noch erahnen.
Den Stock in der einen und den schweren Pokal in der anderen Hand trete ich wieder hinaus ins grelle Sonnenlicht des Spätnachmittags.
Mit dem Staubwedel entferne ich die dicke Staubschicht und auf einmal strahlt der Pokal wieder. Stolz halte ich ihn für einen kurzen Moment ins Sonnenlicht.

Plötzlich stehe ich wieder neben meinen Freundinnen auf dem Fußballplatz und halte den glänzenden Pokal ins Licht.
Um mich herum jubeln die Fans und ich höre sie schreien:
„Hoch lebe der BFSF Plunzntal!“ Ja, das sind wir.
Der Bund der Flicknball schupfenden Frauen aus dem Plunzntal.

Mit einem Ruck erwache ich aus meinem Trancezustand.
Behutsam stelle ich den Pokal auf den steinernen Brunnen hinterm Haus und wische mir sanft die salzigen Tränen von der Wange.

Als ich dem Jungen den Pokal überreiche, strahlt er übers ganze Gesicht.
Ich lasse die Kinder alleine und mache mich auf die Suche nach einer Gießkanne für meine Blumen.
Bevor ich hinterm Haus verschwinde drehe ich mich ein letztes Mal um und sehe den glitzernden Pokal von Kinderhand zu Kinderhand wandern.

Geschrieben von Katja Vorreiter
Von: Katja Vorreiter